Der EuGH ist mit seinem Urteil vom 10.02.2022 zu dem Schluss gekommen, dass die Regelungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes zur Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts beim Leistungsempfänger, in Fällen der Ist-Versteuerung durch den Leistenden, unionsrechtswidrig sind.

Im Streitfall ging es um den Vorsteuerabzug aus Mieträumen. Die Vermieterin und auch die Mieterin unterlagen der Ist-Versteuerung nach § 20 Umsatzsteuergesetz (UStG). Das heißt, dass für die von der Vermieterin ausgeführten Umsätze die Umsatzsteuer erst mit der Vereinnahmung der entsprechenden Entgelte entstand. Aufgrund einer Stundungsvereinbarung wurde die Miete für die Jahre 2009 – 2012 erst später, d.h. in den Jahren 2013 bis 2016 gezahlt. Die Mieterin war die Meinung, dass ihr Recht auf den Vorsteuerabzug erst mit Entrichtung der entsprechenden Entgelte entstehen würde und machte den Vorsteuerabzug aus diesen Eingangsleistungen auch erst in den Jahren 2013 bis 2016 geltend. Das Finanzamt war mit der Entscheidung der Mieterin nicht einverstanden, da sich die Regelung der Ist-Versteuerung nach § 20 UStG nur auf die Besteuerung der Ausgangsumsätze bezieht. Das Recht auf den Vorsteuerabzug richtete sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Soll-Versteuerung, somit ist die Vorsteuer bereits in den Jahren 2009 bis 2012 entstanden (mit Ausführung der Vermietungsleistungen) und auch in diesen Zeiträumen geltend zu machen gewesen.

Nach dem deutschen Recht kann der Leistungsempfänger die Vorsteuer bereits geltend machen, wenn die Leistung erbracht ist und eine Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer vorliegt. Der Zeitpunkt der Zahlung spielt keine Rolle. Diese Regeln gelten unabhängig davon, ob der Leistende Soll- oder Ist-Versteuerer ist.

Schon das Finanzgericht Hamburg stellte fest, dass diese Regelung zwar günstig für den Steuerpflichtigen ist, aber dem Unionsrecht widersprechen könnte, da Art. 167 MwStSysRL vorsieht, dass der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Die Ausnahmen für Leistungen von Ist-Versteuerern sind im Unionrecht nicht vorgesehen. Der EuGH hat die Meinung des FG Hamburg in dem Urteil bestätigt. Somit sind in diesem Punkt die Regelungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes unionswidrig. In der Praxis kann die Umsetzung des Urteils zu enormen Herausforderungen führen, weil normalerweise der Leistungsempfänger nicht weiß, ob der leistende Unternehmen Ist- oder Soll-Versteuerer ist. Es bleibt also abzuwarten, wie der Gesetzgeber eine Anpassung des Umsatzsteuergesetzes vornehmen wird (z.B. Hinweis auf der Rechnung).